Dennys Bornhöft zu TOP 37 „Unterstützungsleistungen für von Leid und Unrecht Betroffene“
„In mehreren Jugendhilfeeinrichtungen, Einrichtungen der Behindertenhilfe und psychiatrischen Einrichtungen haben viele, zu viele Kinder und Jugendliche mindesten bis in die 1970er Jahre hinein schlimmste Grausamkeiten und Gewalt erfahren. An ihnen wurden Medikamente getestet, sie wurden misshandelt und für diese Grausamkeiten quer durch die Bundesrepublik transportiert. Manche Kinder haben diese Tortur nicht überlebt. Wer es überstanden hat, war häufig sein Leben lang körperlich oder seelisch gezeichnet. Diese Kinder haben nichts falsch gemacht, trotzdem wurden sie unmenschlich bestraft als seien sie rechtsfreie Objekte.
Die Würde des Menschen, egal ob Kind oder Rentnerin, ist unantastbar – so gilt es seit 1949 in Deutschland, leider nicht in allen Einrichtungen, wie zu viele schmerzlich erfahren mussten. Lange hat die Gesellschaft über das Unrecht geschwiegen. Es wurde von kaum einer Seite die Initiative ergriffen, sich mit den Geschehnissen auseinanderzusetzen. Dabei geht es nicht alleine darum, das Leid der Betroffenen anzuerkennen, sondern auch dafür zu sorgen, dass sich solche Vorfälle niemals in Deutschland wiederholen können.
2012 wurden die Fonds zur Entschädigung ehemaliger Heimkinder der Kinder- und Jugendhilfe eingerichtet. Betroffene aus den Einrichtungen der Behindertenhilfe und Psychiatrien hingegen mussten bis 2017 warten, bis auch sie mit der Errichtung der Stiftung ‚Anerkennung und Hilfe‘ Zugang zu einem Hilfesystem erhielten. Fünf Jahre mussten jene Menschen länger warten. Hinzu kam noch, dass ihre Rentenersatzleistung für unter Zwang geleistete Arbeit geringer ausfiel als bei ehemaligen Heimkindern aus der Kinder- und Jugendhilfe.
In den ersten beiden Jahren hatte die Stiftung aus unterschiedlichen Gründen einige Startschwierigkeiten. Vielen Betroffenen war die Arbeit der Stiftung nicht bekannt: Die Anzahl der eingegangenen Anträge waren durchgehend niedrig. Seit 2019 stiegen die Zahlen dann. Hieran sehen wir deutlich, dass Betroffene mehr und mehr von der Möglichkeit eines Hilfesystems erfahren haben und diese in Anspruch nehmen. Das ist ein kleiner Erfolg. Es gelang also mehr, die Menschen zu erreichen, die man von Beginn der Arbeit an hatte erreichen wollen. Das Symposium ‚Vergangenheit im Kopf – Zukunft in der Hand‘ ist bis heute parlamentarisch das bewegendste Erlebnis gewesen, das ich erlebt habe. Ich empfehle jedem, sich die Aufzeichnung noch mal anzusehen. Es wurde von den Leiderfahrenen der Wunsch geäußert, im Bundestag eine ähnliche Möglichkeit zu erhalten. Es konnten Kontakte zur Bundesebene geknüpft werden, die bisher zumindest in einen öffentlichen Austausch mit dem Menschenrechtsausschuss des Bundestages mündeten.
Wie in so vielen Bereichen kam dann die Corona-Pandemie. Diese hat den Zugang der Betroffenen zu den Hilfssystemen erheblich erschwert. Viele bereits vereinbarte Termine in den Beratungsstellen wurden angesichts der Infektionszahlen weit nach hinten verschoben. Bereits vor der Pandemie waren viele Anlaufstellen durch die hohen Fallzahlen überlastet. Die Bundestagsabgeordneten für Menschenrechte und Teilhabe der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der Grünen haben sich in einem offenen Brief an die Errichter der Stiftung gewandt und um eine Verlängerung der Stiftungslaufzeit bis mindestens Dezember 2021 gebeten, bestenfalls eine Entfristung der Antragsmöglichkeit. Die Errichter sind diesem Wunsch nicht nachgekommen. Die Laufzeit wurde nur bis zum 30. Juni 2021 verlängert, die Bearbeitungszeit in den Beratungsstellen bis zum 31. Dezember 2022. Ich hoffe, ich kann hier für alle sprechen und schließe mich der uns heute zugegangenen Bitte des regionalen Stiftungsbeirats an: Diese Verlängerung ist zu kurz!
Schleswig-Holstein hat sich auf den Weg gemacht, das Leid und Unrecht, das Betroffene bei der Unterbringung in genannten Einrichtungen erlebt haben, wissenschaftlich aufzuarbeiten. Mit dieser Arbeit zeigen der Landtag und das Sozialministerium, was eigentlich flächendeckend in der gesamten Bundesrepublik erfolgen sollte. Ein jeder, der in der Vergangenheit in den Einrichtungen der Behindertenhilfe und Kinder- und Jugendpsychiatrien Leid und Unrecht erfahren hat, hat aus unserer Sicht einen Anspruch auf eine Hilfeleistung. Ein Anspruch auf Beratung und Hilfe sollte so lange wie nötig erfolgen. Es geht hier um Vergehen, die an den verletzlichsten Mitgliedern unserer Gesellschaft begangen wurden und die unter diesen immer noch Leiden. Angstzustände, Depressionen, körperliche und seelische Leiden.
Wir haben den gemeinsamen Anspruch, das Leid der Betroffenen anzuerkennen und ihnen angemessene Hilfeleistungen zukommen zu lassen. Schleswig-Holstein geht hier voran, ein weiteres Mal. Im Sinne der Betroffenen hoffen wir Freie Demokraten aus Schleswig-Holstein, dass weitere Bundesländer, der Bund, die Kirchen und die Pharmakonzerne ebenfalls mehr Verantwortung wahrnehmen. Ich bedanke mich bei meinen Kolleginnen und Kollegen im Sozialausschuss, insbesondere dem Vorsitzenden Werner Kalinka, für die sehr konstruktive und dem Thema angemessene und empathische Herangehensweise.“