Dennys Bornhöft zu TOP 23 „Dokumentation der Aufarbeitung des Themas Leid und Unrecht“ (REDE ZU PROTOKOLL)
„Jugendhilfeeinrichtungen, Einrichtungen der Behindertenhilfe, Kinder- und Jugendpsychiatrien – an all diesen Orten haben Kinder und Jugendliche von 1945 bis weit in die siebziger Jahre hinein Leid und Unrecht erfahren. Sie wurden Opfer von Medikamentenversuchen, sie wurden misshandelt. Sie wurden für diese Grausamkeiten durch die Bundesrepublik geschickt. Wer die Grausamkeiten von damals überlebt hat, trug häufig körperliche, fast immer aber seelische Beeinträchtigungen davon. Es ist ein Verbrechen, was an den verwundbarsten und schwächsten Mitgliedern unserer Gesellschaft verübt wurde – an Kindern und Jugendlichen, die anderen regelrecht ausgeliefert waren. Lange hat der Rest der Gesellschaft über dieses Unrecht geschwiegen. Man hat die Augen davor verschlossen. Betroffene wurden agewiesen, man hat ihnen nicht zugehört. Viel zu lange.
Erst vor rund neun Jahren hat die Aufarbeitung begonnen: 2012 wurden die Fonds zur Entschädigung ehemaliger Heimkinder der Kinder- und Jugendhilfe eingerichtet. Betroffene aus den Einrichtungen der Behindertenhilfe und Psychiatrien bekamen erst 2017 mit der Errichtung der Stiftung ‚Anerken nung und Hilfe‘ einen Zugang zu einem Hilfesystem und das mit vielen Startschwierigkeiten und Hürden. Ich habe es bereits in meiner letzten Rede gesagt: Das Symposium ‚Vergangenheit im Kopf Zukunft in der Hand‘ ist bis heute die Veranstaltung, die mich in meiner gesamten Zeit im Landtag am meisten bewegt hat. Das Land hat sich auch darum bemüht, das Leid und Unrecht, das Betroffene bei der Unterbringung in genannten Einrichtungen erlebt haben, wissenschaftlich, als Beispiel für die gesamte Bundesrepublik, aufzuarbeiten. Denn was hier passierte, geschah auch an anderen Orten in Deutschland. Für uns alle hier steht fest: Wer in der Vergangenheit in den Einrichtungen der Behindertenhilfe und Kinder- und Jugendpsychiatrien Leid und Unrecht erfahren hat, hat einen Anspruch auf eine Hilfeleistung, auf Beratung, auf Unterstützung.
Das Thema Leid und Unrecht beschäftigte den Sozialausschuss, es wurden Veranstaltungen mit Herrn Jesumann, einem unabhängigen Ansprechpartner, organisiert und ein regionaler Fachbeirat eingesetzt. Seit 2020 wird der Praxispreis für Innovation und fortschrittliches Engagement an die Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe, sowie der Eingliederungshilfe verliehen. Denn es geht nicht alleine darum, das Leid der Betroffenen anzuerkennen, sondern auch dafür zu sorgen, dass sich solche Grausamkeiten in Deutschland nicht wiederholen. Niemals darf der erste Satz des Grundgesetz ‚Die Würde des Menschen ist unantastbar‘ wieder in Frage gestellt werden – erst Recht nicht in Institutionen, die staatlich sind oder unter staatlicher Aufsicht stehen.
Ich habe in meiner letzten Rede gesagt, dass ich hoffe, dass andere Bundesländer und der Bund unserem Beispiel folgen werden. Das hoffe ich heute noch. Auch den kommenden Landtag wird das Leid und Unrecht der Betroffenen weiter beschäftigen. Deswegen wollen wir für all diejenigen, die in Zukunft dazu beitragen möchten, den Betroffenen zu helfen, eine bestmögliche Grundlage für ihre Arbeit mit auf den Weg geben. Deshalb beantragen wir heute eine ausführliche Dokumentation aller Anstrengungen, die bisher in Schleswig-Holstein unternommen wurden. Ich bedanke mich bei meinen Kolleginnen und Kollegen im Sozialausschuss, insbesondere dem Vorsitzen- den Werner Kalinka als auch bei Sozialminister Heiner Garg für den entschlossenen, sensiblen und empathischen Umgang mit dem Thema Leid und Unrecht.“